Es fühlt sich noch immer surreal an. Als am Montagabend Schüsse aus der Wiener Innenstadt vermeldet wurden, dachte ich sofort an den Dezember 2018, als Schüsse in der Nähe eines bekannten Wiener Lokals gefallen waren. Ein Terrorakt konnte damals von der Polizei ausgeschlossen werden. Diesmal war alles anders. Plötzlich stand ich da, telefonierte Freunde und Verwandte durch, um zu hören, ob es ihnen gut geht. Ich rief meine Mutter in Tirol an, um sie zu beruhigen. Ich beantwortete Nachrichten von Freunden und Familie, die im Ausland leben, mit „Uns geht es gut. Wir sind in Sicherheit.“ Ich telefonierte und schrieb gleichzeitig Nachrichten, während Bilder vom Schwedenplatz im TV liefen und ein Nachrichtenticker nach dem anderen aufpoppte. Angst und Verzweiflung füllten jede Ecke der Wohnung. Mein Freund und ich gingen abwechselnd zur Tür, um uns zu versichern, dass sie abgesperrt ist. Der Sicherheitsbalken besagter Tür, den wir sonst nie benützen, kam an diesem Abend erstmals zum Einsatz. Die schrecklichen Bilder der Taten, Berichte von Menschen die sich in Kellern und Lokalen verbarrikadierten versetzten mich schließlich ohne Vorwarnung ins Jahr 1993 zurück. Meine Familie und ich saßen im Keller unseres Hauses, während draußen Bomben fielen und bewaffnete Männer herumschossen. Ich teilte meine Gedanken auf Twitter, um denjenigen, die Kriege miterlebt haben und durch den Terrorakt getriggert wurden, zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Dafür bekam ich sehr viel Hass. Ich glaube ich habe noch nie so viele Leute geblockt wie nach diesem Tweet. Ja, mir ist klar, dass ein Terroranschlag nicht mit Krieg zu vergleichen ist. Aber wisst ihr, was beides für mich ist? TERROR. Also an alle Hater die meinen sie müssen mir erklären, wie ich mich während eines Anschlags fühlen soll: Fuck you very much und bitte schleichts eich. Dasselbe gilt auch für die Leute, die nach dem Anschlag ihrem Rassismus freien Lauf lassen und noch mehr gegen Muslime und den Islam hetzen. Lasst es einfach, ihr Idioten. Ja, ich habe Idioten geschrieben und wenn du dich jetzt angegriffen fühlst dann gratuliere, du bist einer dieser Idioten. Aber keine Sorge, ich kann dir helfen, lies weiter.
Karim El-Gawhary, ORF-Korrespondent in Kairo, warnt vor einer Falle, die zur Gesellschaftsspaltung führen soll. „Die islamistischen Anschläge in Frankreich und Österreich zielen darauf ab, die europäischen Gesellschaften zu spalten. Die Dschihadisten wollen die Grauzone gelebter Koexistenz zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Europa zerstören“, erklärt der Journalist. „In einem Manifest 2015 im IS-Online-Magazin Dabiq, wurde eine Strategie beschrieben, die die militanten Islamisten für sich nutzen wollen. Die Idee ihrer Strategie war relativ einfach. Mit jedem islamistischen Anschlag in Europa wächst dort die antiislamische Stimmung. Die Folge, so heißt es im IS-Manifest, wäre eine Polarisierung und wie es damals hieß, „die Eliminierung der grauen Zone“, wie die Koexistenz zwischen Muslimen und Nichtmuslimen dort umschrieben wurde. Mit der aus den Anschlägen folgenden Ausgrenzung der Muslime im Westen, heißt es im IS-Manifest, könnten diese so leichter in die Arme der militanten Islamisten und ihrer Ideologie getrieben werden und wären dann leichter zu rekrutieren. Wenn ihr euch jetzt fragt, was können wir in diesen furchtbaren Stunden in Wien machen: ich bitte euch noch einmal inständig: tappt nicht in diese IS-Falle“, so El-Gawhary auf Twitter.
Was ihr noch tun könnt: Informiert euch, ruft Menschen an, die euch wichtig sind, schreit euch die Wut raus, trauert, gedenkt den Opfern und ihren Angehörigen, feiert die Helfer, die Einsatzkräfte, die Zivilcourage, informiert euch darüber, wie die muslimische Community mit dem Anschlag umgeht, redet über das was passiert ist. Aber: Lasst euch nicht einschüchtern. Denn diese Oaschlöcher können uns nichts anhaben. Und an all diese Oaschlöcher: Ihr werdet uns unsere Freiheit, unseren Frieden und unser Wien niemals nehmen. Wir haben für euren Hass keinen Platz. In den Worten von Bundespräsident Alexander Van der Bellen: „Wir werden unsere Freiheit und Demokratie gemeinsam und entschlossen mit allen gebotenen Mitteln verteidigen.“
Hotlines für psychischen Support
Psychiatrische Soforthilfe für Wien (24h Hotline):
+43 1 31330
Corona-Sorgenhotline Wien (8.00-20.00 Uhr):
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